Namche Bazar: Höllentrip nach Namche Bazar

Obwohl Berit und Tamas mit Mütze, Jacke und 2 Decken geschlafen haben, sind sie mit angefrorener Nase am Morgen aufgewacht. Das Umziehen in der Kälte stellte so eine kleine Herausforderung dar. Dies sollte für heute aber nicht die letzte Herausforderung gewesen sein. Es war nur die Einstimmung auf das, was uns heute noch erwarteten sollte. Leicht unterkühlt begannen wir nach einem kleinen Frühstück unsere achtstündige Wandertour nach Namche Bazar. Da die Sonne schien und sie uns in kürzester Zeit aufwärmte, waren die Beschwernisse der vergangenen Nacht schnell vergessen und wir freuten uns auf die bevorstehende Tagestour. Über steinige Wege ging es wie gestern weiter, mehr bergauf als bergab. Unser Weg führte durch eine Schlucht entlang des sogenannten Milchflusses. Der Milchfluss ist der Gletscherfluss des Mount Everest. Immer wieder passierten wir Hängebrücken, was für Berit wegen ihrer Höhenangst anfangs eine unvorstellbar große Herausforderung war. Doch sie musste über sich hinauswachsen, da es ja schließlich keinen Weg zurück gab. Je mehr Hängebrücken sie überquerte, desto leichter fiel es ihr. Nach ca. 4 Stunden Wanderung aßen wir in einem kleinen Dorf zu Mittag und ruhten uns aus. Zu unseren Lieblingsgetränken wurden übrigens frischer Minz- und Ginger Tee. Zum Essen gab es vegetarische Gerichte, wie gebratene Nudeln oder Reis mit Gemüse oder die berühmten Momos, die wir auch schon in Tibet mit einer tibetischen Familie zusammen kochen durften (Artikel dazu folgt). Tamas wurde zum Dal Bhat Spezialisten. Es ist ein typisches Sherpagericht und hat den Vorteil, dass man bis zum Platzen ohne Aufforderung Nachschub von allen Bestandteilen des Essens bekommt. Die Frage „More Rice?“ erwarteten wir jeden Tag mit großer Spannung. Nach dieser ersten Etappe, waren wir alle ziemlich erschöpft und wären am liebsten auf der Terrasse des kleinen Restaurants in der Sonne sitzen bzw. liegen geblieben. Doch unser Guide Camel gab nach einer Stunde Pause das Aufbruchssignal. Laut unserer Berechnung sollten wir nun in ca. 3 Stunden bei einem Weg von 4 km Länge ca. 700 Höhenmeter schaffen. Eine Vorstellung, was das bedeuten sollte, hatten wir nicht. Wir zogen weiter entlang des Milchflusses. Während wir uns abmühten, überflogen uns ständig Helikopter, die uns auch schon am ersten Tag auf unserem Weg nach Phakding begleiteten. Unser Guide war sich sicher: „Rescue people. All people from Base Camp. Only Rescue. Namche Bazar. Altitude Sickness“  Als uns dann noch 6 Soldaten entgegen kamen, meinte er: "Tourist fall in river. Yesterday. Dead." Das machte uns nicht gerade Mut, den Weg fortzusetzen. Langsam ging es immer steiler bergauf. Plötzlich bot sich uns ein erschreckender Anblick. Weit oberhalb der tiefen Schlucht sahen wir übereinander 2 Hängebrücken. Unser Guide machte uns verständlich, dass wir über die obere Hängebrücke gehen müssten. Die untere sei leider gesperrt. Berits Papa sah nur noch den Weg nach oben zu der Hängebrücke und fing das erste mal an zu Stöhnen und den Kopf zu schütteln. Unserem Guide Camel störte das nicht weiter, er marschierte los und wir trotteten schweißgebadet von Stein zu Stein balancierend hinterher. Er hielt es anscheinend auch nicht für notwendig, uns mal ein bisschen zu unterhalten, zu loben oder einfach aufzumuntern. An der oberen Hängebrücke angekommen, ließen wir zuerst Yakowherden und Sherpas mit ihrer breiten Rückenladung die Brücke passieren. Jetzt bloß nicht nach unten gucken! Auf so etwas waren wir nicht vorbereitet. Aber es half ja nichts. Mit dem Guide und Berits Papa an der Hand, schaffte es auch Berit, diese Hängebrücke zu überqueren. Was uns nun erwartete, überstieg jegliche Vorstellungskraft. Ab jetzt ging es im 45 Grad Winkel auf einem kleinen Steinpfad, immer am Abgrund entlang, nach oben. Stein für Stein erklommen wir den nicht enden wollenden Hang. Immer wieder mussten wir erschöpft pausieren, da wir weder Luft bekamen, noch die Kraft zum weiteren Aufstieg hatten. Das erste mal im Leben hat sich Berit um ihren Papa wirklich besorgt. Hatte sie ihn jemals vorher so fluchen hören und seit wann bestand er beim Wandern auf Erholungspausen? Aber was half es? Es gab kein Zurück auch wenn wir uns alle am liebsten die Rucksäcke vom Rücken gerissen und uns auf den Boden geworfen hätten. Schritt für Schritt quälten wir uns am Rande der Verzweiflung weiter nach oben. Plötzlich tauchte am Wegesrand ein großer Stein als Sitzgelegenheit auf. Leider war dieser schon von einem anderen erschöpften Wanderer belegt. Doch das hielt Berit nicht auf, sich zu ihm zu setzen. Wir kamen mit ihm ins Gespräch und fühlten uns sofort mit ihm im Leiden verbunden. Bernd hieß er. Die Bekanntschaft Bernds verschaffte Ablenkung. Nach einem kurzen Gespräch ging es weiter. Berits Papa war nach kürzester Zeit nicht mehr zu sehen und hinter einer Staubwolke verschwunden. Erst am Zielort Namche Bazar trafen wir wieder aufeinander. Das Gespräch mit dem neuen Bekannten Bernd hatte Berits Papa so viel Erleichterung und Ablenkung verschafft, dass er neue Energien freisetzen konnte. Auch für Bernd war unsere Begegnung sehr hilfreich. Für ihn war es nämlich doppelt so schwer, da er einen ca. 20 kg schweren Rucksack auf dem Rücken trug. Doch die restliche Zeit verflog im Gespräch wie im Fluge. Auch wenn Bernd immer wieder zwischendrin betonte: „Ich sterbe.“ Selbst die Sherpas staunten nicht schlecht über Bernds Ladung. Stellte Bernd auf dem Mount Everest Highway für sie eine neue Konkurrenz dar? Was Bernd alles so in seinem Rucksack verstaut hatte, wissen wir bis heute nicht so genau. Er sagte nur immer: "Er wollte auf alle Situationen vorbereitet seien." Jedenfalls hatte er einen Schlafsack dabei, welchen wir auch gerne dabei gehabt hätten. Doch unser Guide meinte vor der Tour nur: "No need." Danke Camel!!! Wir dich auch. Aber auch Bernd beäugte unser Gepäck immer wieder und wünschte, er hätte nur einen solchen kleinen Rucksack wie wir. Als Berit ihm dann noch erzählte, dass sie in ihrem wirklich federleichten Rucksack einen Reisefön versteckt habe, konnte er sich vor Lachen nicht mehr halten. Okay, hätte Berit gewusst, dass es so schwer sein wird an warmes Wasser und Strom zu kommen, hätte sie ihn vielleicht auch zu Hause gelassen. Doch wie geht Bernds Lieblingsspruch: "Das Leben ist Rock´n´Roll!" Wir rockten tatsächlich den restlichen Aufstieg ohne Probleme. Stein für Stein quasselten wir uns nach oben. Wobei Bernd irgendwann zu Berit meinte: "Erzähl ruhig weiter, aber ich kann nicht mehr antworten... ich sterbe doch..." Irgendwann erblickten wir die ersten Häuser des Dorfes Namche Bazar. Freudestrahlend liefen wir ihnen entgegen, ohne zu ahnen, dass die Nacht uns noch auf eine harte Probe stellen würde. 

Am Hotel Kamal trennten sich erstmal Bernds und unsere Wege. Wir stiegen in die vierte Etage des „Hotels“ auf, welches unser Guide für uns "ausgesucht" hatte. Völlig erschöpft kamen wir oben an und wir wurden in unsere Zimmer eingewiesen. Auch hier kaum ein Unterschied zur ersten Unterkunft, nur dass die Zimmer noch eisiger als am Vortag waren. Im Flur ein kleines öffentliches Waschbecken für die Gemeinschaft. In der dritten Etage eine Gemeinschaftsdusche, welche man für 5€/Person nutzen konnte. Doch der Kauf dieses teuren Vergnügens war eher eine Belastung. Die Dusche  war komplett verdreckt und der Duschraum war eisig kalt. Aus dem Duschkopf kam nur ein dünner, langer Warmwasserstrahl. Am Ende fror man mehr als vor der Dusche.

Am Abend heiterten die Gespräche mit Bernd im warmen Aufenthaltsraum in unserem Hotel die Stimmung auf. Bernd arbeitet übrigens "etwas mit Computern". Zu seinen Auftraggebern gehören namenhafte Firmen. Kein Wunder, dass in seinem Zimmerpreis ein sauberes Zimmer mit einer warmen Dusche und Strom mit inbegriffen waren. In unserer gebuchten, nicht gerade billigen Tour, sollte für uns also nur ein Zimmer für umgerechnet weniger als 5€ drin sein?! Aber was uns nicht umbringt, macht uns hart. In der Nacht zogen wir dann alle verfügbaren Kleidungsstücke an. Auch eine Mütze sollte nicht fehlen.

Ein warmes, kuschliges Zimmer stellte plötzlich unser sehnlichster Wunsch dar. :)

Dorf Monjo
Dorf Monjo

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Kommentare: 1
  • #1

    Claudia (Samstag, 19 November 2016 11:37)

    Vielen Dank, dass ihr meinem Schatz Bernd so tolle Stunden geschenkt habt! Ich wünsche euch noch eine gute Weiterreise!